Bierzauberers Haberdashery Nr. 11: Es weihnachtet bald und sehr…

Das Schöne an unserer Konsumgesellschaft ist ja, dass es einem nie fad wird. (Fad bedeutet langweilig, in Österreich.) Das ganze Jahr ist inzwischen in Saisonen (ist der Plural korrekt?) aufgeteilt. Nur mal so, kurz zur Übersicht („Saison“ in sportlicher Hinsicht bleibt hier mal ganz außen vor):

Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter sind die Standards.

Weihnachten und Ostern die Klassiker.

Das reicht aber schon lange nicht mehr.

Die ersten Geschäfte legen ja bereits kurz nach Neujahr, um die Lücke der Weihnachtsdeko zu füllen, die Ostereier raus. Eine ganzganz kurze Saison dazwischen ist der doch recht neue Valentinstag, wobei ich immer noch Zweifel habe, ob sich ein Feiertag, wo es offiziell und vorrangig nicht ums Essen oder Trinken geht, in Österreich wirklich durchsetzen wird.

Dann sind erst mal Sommerferien. Neun lange, ätzend lange Wochen. Eine eigene Saison, unabhängig vom Sommer. Da wird das Urlaubsbudget auf den Kopf gehauen; die Kinder bekommen überdies teure Kurse spendiert, damit die Eltern das dazu nötige Geld verdienen können und ihre Kinder dazu anderweitig geldintensiv beschäftigen müssen. Ein irgendwie tautologischer Wirtschaftskreislauf.
In diese Sommersaison zwängt sich dann für Freunde der Offenen-Luft-Musik noch die Festivalsaison, mit Dutzenden Open-Airs und einer eigenen Konsumnische: Zelte, Musik-Shirts und matschresistentes Schuhwerk.

Sobald die Ferien vorbei sind, geht es nahtlos in den Winter über. Ob das Wetter passt, ist egal. Ab September liegen die ersten Spekulatiusse (Plural OK?) und Lebkuchen in den Geschäften aus. Ich glaube ja mittlerweile fest daran, dass es sich bei der Erstbestückung um abgelaufene Ware vom Vorjahr handelt, denn die kauft ja eh niemand. Ich kenne zumindest keinen vernunftbegabten Menschen, der im September schon Weihnachtsgebäck bunkert. Wenn ihr jemand kennt, meldet euch bitte bei mir, damit ich um diese Person einen großen Bogen machen kann.
Ab Oktober gibt es dann Christstollen.

In einem Katalog, der diese Tage bei mir in der Post war, kann man Heavy-Metal-Weihnachtspullover bestellen, mit AC/DC und „Fucking Merry Christmas“ drauf stehen. Die sehr weihnachtsaffinen Bands Black Sabbath oder Motörhead gehen auch. Wie darf man das nennen? Mode ist das ja nicht. Und in der erweiterten Familie würde ich mich so nicht präsentieren wollen…

Ausklingen lassen wir das Konsumjahr dann mit dem Silvestertag. Fröhliches Geballere, Rumgefeiere und Gereihere, an keinem Tag lässt sich Geld sinnloser verpulvern als am letzten Tag des Jahres. Wobei man mit dem Geldausgeben dafür auch schon im November beginnen kann, da ist Saisonstart für Silvester.

Nebenbei gibt es noch, ausser dem Valentinstag, ein paar andere, mehr (Sturmsaison & Grillsaison!) oder weniger (Halloween) lange und wichtige Saisonziele, die mittlerweile aber genau so hochprofessionell vermarktet werden wie die Klassiker Weihnachten und Ostern. Mein ganz besonderer Dank geht dabei an die Firma Weber wg. Grillsaison, Stichwort: Ganzjährig.
(Sturm ist frischer Jungwein, wie Federweißer in Deutschland.)

Richtig Zukunft in Österreich haben meiner Meinung nach aber nur Sturm & Grill, aber nicht nur, weil es nach „Sturm & Drang“ ein wenig klassisch nachhallt. Sondern, weil es da primär und nur ums Essen und Trinken geht.

Und das können wir doch immer noch am Besten!

Bierzauberers Haberdashery Nr. 10: Über Hubraum und Plato

„Hubraum“ ist ein Wort, das man im Alltag eher selten hört, es sei denn, man arbeitet in einer Autowerkstatt oder fährt Autorennen. Dennoch weiss so ziemlich jeder, was damit gemeint ist. Oder glaubt es zu wissen. Zumindest ganz, ganz grob.

Als Kinder haben wir oft und gerne Autoquartett gespielt. Das Auto mit den besten technischen Daten hat immer gewonnen. Und Hubraum war immer wichtig. Je mehr, desto besser. Das hubraumstärkste Fahrzeug war im Grunde unschlagbar. Wobei ich mir nicht mehr sicher bin, dass wir Knirpse damals wirklich wussten, was dieser ominöse Hubraum wirklich war. Auf jeden Fall war es etwas ungeheuer Positives, das musste was wirklich Tolles sein, so ein Hubraum, wenn man damit ein Quartettspiel gewinnen konnte. Auch später, als mein technisches Verständnis gewachsen war, fand ich es sehr spannend, einen Motor zu sezieren, das Spiel der Kolben, ihrer Verdrängung und ihres Hubs (sic!) – in eben diesem Hubraum. Mit allem Gebrumme, Geröhre und Getöse, was halt so dazu gehört, je nach Zylinderanzahl und Kapazität.

Machen wir nun einen Sprung vom positiven Hubraum meiner Kindheit in die triste Gegenwart dieses Wortes.

Nicht alle sind mit dem Klimawandel einverstanden – ich auch nicht, ich nehme aber trotzdem mal an, dass die Wissenschaftler nicht gänzlich daneben liegen, auf deren Seite sich die kleine Greta geschlagen hat. (Umgekehrt natürlich auch.) Von „nicht einverstanden“ bis „leugnen“ ist es allerdings ein sehr weiter Schritt, und die nächste Konsequenz, der nächste Schritt in die falsche Richtung, ist dann die „Bekämpfung der Klimawandel-Mahner“. In dieser ungustiösen Umgebung befindet sich jetzt leider auch der Hubraum. Besetzt und gekapert von radikalen Automobilisten, um ihre Pfründe fürchtenden Autoverkäufern, Umweltignoranten und ultrarechten Vollidioten: Es ist wirklich eine unheilige Allianz, die derzeit medial, brunzdumm, lautstark und zynisch bis pseudo-ironisch ihr Recht auf weitere Umweltzerstörung unter dem Motto „Fridays for Hubraum“ einfordert. (Am Rande: Die gleichen Leute kleben sich neben den Auspuff ihrer Lieblinge auch gerne „Fuck-you-Greta“-Sticker. Aber das ist eine andere Geschichte.)

Hier bietet sich nun ein kleiner Einschub aus der griechischen Philosophie an: Nämlich Platos Protagoras, eine seiner früheren Schriften, die man im Grunde nicht unbedingt kennen muss. Interessant ist dieses Werk aber aufgrund der Diskussion um das Wort Akrasie, einer sehr speziellen Art von Willensschwäche. Ich zitiere die allwissende Wikipedia: „Dabei geht es um ein Handeln gegen ein Urteil des Handelnden, dem zufolge ein anderes Verhalten möglich ist und besser wäre. Untersucht wird die Problematik einer Entscheidung, bei der man das Ergebnis eigener Überlegungen missachtet, obwohl man annimmt, dass dies zu überwiegend schädlichen Konsequenzen führen wird.“ Auf gut Deutsch: Akrasie ist Handeln wider besseres Wissen.

Kann mal auch laut dazu sagen: Ein bisschen akratisch sind wir doch alle. Mal mehr, mal weniger. Alles andere wäre doch geheuchelt. Allerdings ist es bei voran genannten eher mehr. „Fridays for Hubraum“ und Platos Protagoras: Im Jahr 2019 wächst zusammen, was zusammen gehört.

Aber dieser offensichtliche Kulturkampf „Fridays for Future“ versus „Friday for Hubraum“ stimmt mich auch sonst sehr traurig, nicht nur aus politischen Gründen.

Denn der plakative Gegensatz, das Gegenteil von Zukunft, ist im Moment der Hubraum. Hubraum ist die Vergangenheit. Die immer noch einen verheerenden, zerstörerischen Einfluß auf die Zukunft hat.

Ich werde auch nie wieder Autoquartett spielen. Sollte aber mehr Plato lesen.

Bierzauberers Haberdashery Nr. 9: It‘s a mad, mad world

Heute will ich euch eine kleine Geschichte erzählen, darüber, wie unsere Welt anscheinend heute funktioniert. Die Geschichte ist sogar wahr!
Neulich habe ich neue Visitenkarten bestellen müssen. Diese kleinen Kärtchen, die einem selbst und allen anderen ständig vor Augen halten, wie toll und wichtig man ist. Visitenkarten, so was sollte jede Druckerei können, also ist es im Grunde nur eine Frage des Preises. Ich landete letzten Endes, nicht nur aus Gründen nachhaltiger Überlegung, bei einer Druckerei bei mir in der Nähe. Nur zwanzig Kilometer entfernt. Wo ich auch schon andere Sachen bestellt hatte. Warum denn in die Ferne schweifen? Think global. Buy local. Das Angebot „ECO“ klang auch gut, da schwingt ja auch das Wort „Ökologie“ durch, oder war es am Ende doch nur „ökonomisch“?
Bestellt, bezahlt, und in einer Woche sollten die Karten da sein. Für so ein kleines Päckchen lohnte sich das Abholen nicht, der Versand für fünf Euro war sinnvoller.

Das Päckchen wurde dann – natürlich, falsch zugestellt, der DHL-Mensch gab das Paket irgendwo in der Nachbarschaft ab, bestätigte aber auf dem Paketschein, dass ich es persönlich in Empfang genommen hätte.

Kennen wir doch alle, sind ja auch nur Menschen…
Meine Reklamation machte es alsdann erforderlich, einen so genannten Tracking-Record zu bekommen. Und jetzt nimmt die Geschichte Fahrt auf. Denn danach habe ich bei der Druckerei angerufen und sie gefragt, ob sie noch ganz dicht sind. Mein Kartendruckauftrag wurde nämlich aus Kostengründen nach Italien ausgelagert, dort gedruckt, dann mit dem Flugzeug von Venedig nach Bratislava (Slowakei) geflogen. Von dort ging die Reise weiter nach Deutschland, Leipzig, um genau zu sein. Von Leipzig nach Wien war nur ein Katzensprung, um dann meine Karten die letzten Kilometer nach Brunn/Geb. mit dem LKW zu befördern. Vier Länder, drei Flüge, knapp zweitausend Kilometer Weg, meine Visitenkarten haben wirklich schon die Welt gesehen.
Und ECO? War wohl weder das eine noch das andere.
In Zukunft frage ich vorher nach, WO letztendlich produziert wird…

Bierzauberers Haberdashery Nr. 8: Soziale Medien

Hach, was könnte man alles über dieses Thema schreiben! Über durchgeknallte Kommentatoren, abseitige Postings zu noch abseitigeren Belangen oder alberne Tierbilder. Was mich allerdings zuletzt mehr und mehr fasziniert, ist die Sprache-Bild-Schere. Wenn man das so nennen kann. Ich bin nun mal überhaupt kein audiovisueller Typ. Wenn ein Posting nur aus einem Video besteht, ignoriere ich es. Ich will was LESEN! Ohne was dabei zu hören. Alles, was man nur in bewegten Bildern sieht und hört, ist flüchtig, und im selben Moment vergessen, in dem das Video endet. Leider wird diese Art, seine Kommentare abzugeben, immer populärer. Anscheinend ist es einfacher, in eine laufende Handykamera irgendwas reinzuquatschen, als einen guten Gedanken in eine ansprechende sprachliche Form zu gießen. Willkommen im Youtube-Zeitalter!
In den gleichen Kontext gehören meines Erachtens Statusmeldungen, am Liebsten Fotos oder Karikaturen, die von anderen übernommen werden, quasi vorgedacht, und dann unkommentiert weiter gegeben werden. Besonders witzig finde ich es, wenn dann dabei der sinnige Kommentar steht: „Kein weiterer Kommentar nötig“, oder ähnlich. Polyglotte Nutzer der Sozialmedien schreiben das gerne auch in Englisch. Ich gebe mal eine Übersetzungshilfe. „Kein Kommentar nötig“ bedeutet eigentlich: „Ich finde dieses Bild so krass/eindringlich/bestürzend/supi (bitte auswählen), dass ich euch das einfach zeigen muss. Denn was Greta/Trump/Strache/Kurz/Merkel (bitte auswählen) hier tun, ist echt krass/eindringlich/bestürzend/supi (bitte auswählen). Und weil das tatsächlich so krass/eindringlich/bestürzend/supi (bitte auswählen) ist, muss ich hier gar keinen Kommentar abgeben, denn ihr erkennt ja selbst, wie krass/eindringlich/bestürzend/supi (bitte auswählen) das Ganze wirklich ist.“
So geht das. Kein weiterer Kommentar.