Bierzauberers Haberdashery, Nr. 4: Where have all the flowers gone?

Wir schreiben den 28. August 2019, und wie jedes Jahr an diesem Tag werde ich sentimental. Denn der 28. August war ein ganz besonderer Tag, allerdings vor langer, langer Zeit, nämlich 1982. Da trat im Rockpalast, der auf der wunderbaren Freilichtbühne Loreley stattfand, neben den gestandenen Rockstarts Eric Burdon, David Lindley und Rory Gallagher eine junge Band zum ersten Mal ins Rampenlicht, die bis dahin fast nur im Umkreis von Köln ein Begriff gewesen war. Die Rede ist von BAP und ihrem Chef und Sänger Wolfgang Niedecken, die mit diesem, Europaweit ausgestrahlten Konzert den endgültigen Durchbruch schaffen sollten. Ich hatte die Band etwa ein Jahr zuvor für mich entdeckt und war begeistert von der Musik, den kölschen Texten, die man teilweise mühsam aus dem Booklet herauslesen musste. Zum Glück gab es die mit hochdeutscher „Übersetzung“, und die damaligen Vinyl-LPs waren groß genug, dass man noch in lesbarer Größe drucken konnte. Musik und Texte der ersten Scheiben kannte ich natürlich auswendig, und die Gelegenheit, sie zum ersten Mal live zu erleben, wollte ich mir nicht entgehen lassen. Ein Auto hatte ich damals nicht, ich war noch in der Schule und wollte im nächsten Jahr Abitur machen, also fuhren ein Freund und ich kurzerhand am Freitag mit dem Fahrrad hin, ich mit meinem alten Hollandrad, „Import uss Amsterdam…“. 130 km von der Südeifel an den Rhein, so dass wir mitten in der Nacht todmüde in St. Goar ankamen und den Rest der Nacht schlafend auf einer Parkbank verbrachten, bevor wir uns am nächsten Morgen an den Aufstieg zur Loreley machten und dort unser Zelt für die nächste Nacht aufbauten.  

Es wurde ein wunderbarer, fantastischer Tag, der in die Geschichte des Rockpalasts einging. Alles passte: Wetter, Künstler, Publikum, Stimmung, Location. BAP räumte ab, spielte – frisch aus dem Griechenland-Urlaub gekommen, zum ersten Mal überhaupt die Stücke der neuen Platte „Vun drinne noh drusse“, kleine Fehler dabei wurde überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, im Überschwang der Rockpalast-Euphorie.

Was uns alle damals mitriss, war diese Mischung aus geiler Musik und wunderbaren Texten, die etwas aussagten, für uns und für die Gesellschaft, in der wir lebten. Eine Mischung aus Ernsthaftigkeit und Blödelei, jedoch mit dem klaren Focus auf den Anspruch, ernst genommen zu werden. Oder wie Wolfgang Niedecken selber schrieb „Ich hoffe bloß, die kapieren nicht nur meinen Quatsch, sondern auch das, worum es mir geht.“ (Koot für aach)

Und wie ernst wir das nahmen! Es war der Beginn der Kohl Ära, einer weiteren „bleiernen Zeit“, Reagan war Präsident in den USA, Aufrüstung, NATO-Doppelbeschluss, Atomkraft-Nein-Danke, erwachendes Umweltbewusstsein mit den Grünen, die Stimmung war „Wir gegen euch“. Die Risse gingen quer durch die Familien.

Aber BAP und Niedecken artikulierten unsere Anliegen, auf eine Art, die uns begeisterte. Gaben uns Argumente in den Diskussionen mit unseren Eltern und Lehrern. Zum ersten Mal gab es dann tatsächlich Lehrer, die diese Texte auch lasen, ernst nahmen und mit uns darüber diskutierten. Das war was ganz Neues.

Wir waren sicher, dass wir auf dem richtigen Weg waren. In eine bessere Zeit, in eine bessere Zukunft. Und hier werde ich sentimental. Denn was ist daraus geworden, was ist geblieben außer den tollen Erinnerungen? BAP gibt es immer noch, Wolfgang Niedecken ist immer noch der großartige, authentische Künstler, der er immer war. Aber ist die Welt eine andere, eine bessere geworden seither? Ich habe so meine Zweifel, wenn ich mich auf unserem Planeten umschaue.

Gibt es zu wenige Niedeckens? Besonders heute. Oder zu wenige Menschen, welche die Anliegen aus dieser Zeit wirklich ernst genommen und umgesetzt haben? Da schließe ich mich selbst natürlich nicht aus.

Um es mit zwei großen Vorbildern Niedeckens zu sagen:

Where have all the flowers gone? The answer is blowing in the wind…

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